Passion

„… Sage einer, es gebe keine großen Entwürfe mehr im Jazz. Der Stuttgarter Pianist Patrick Bebelaar konzipierte mit seiner neuen Platte „Passion“ eine Art musikalisches Gesamtkunstwerk, das thematisch gar auf die Grundbedingungen menschlicher Existenz zielt“
(fab, Stuttgarter Zeitung) 


Das Quintett spielt die gleichnamige Komposition des Pianisten Patrick Bebelaar. Ein düsteres Werk mit extrovertierten Ausbrüchen in die freie Musik und einem zugundeliegendem Choralmotiv von J.S. Bach.
Es spielen mit: Jo Ambros, Fried Dähn, Frank Kroll und Bernd Settelmayer
Jo Ambros (guit.) studierte an der Hoschule für Musik in Stuttgart und an der New School in New York, wo er bei zahlreichen Lehrern Unterricht hatte. Er bekam ein Stipendiat des DAAD und war Dozent bei internationalen Meisterkursen. Ein Kompositionspreis ermöglichte die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern in Frankfurt.
Fried Dähn erhielt zahlreiche Preise für seine Arbeit mit dem elektronischen Cello. Er spielte im Ensemble Modern, Frankfurt, wirkte bei zahlreichen CD Produktionen, arbeitete mit Frank Zappa, Ornette Coleman und Karl-Heinz Stockhausen so wie an der Seite zahlreicher anderer Komponisten.
Bernd Settelmeyer (drums/perc) studierte bei Pierre Favre an der Hochschule für Musik in Stuttgart. Er hat sich einen Namen als Schlagzeuger gemacht und spielte auf CDs neben so internationalen Größen wie Fred Frith und Maria Joaõ.
Frank Kroll (Sax) studierte bei Bernd Konrad, Dave Liebmann und Richie Beirach. Er entwickelte einen eigenen Instrumentalstil, der von verschiedenen Kulturen beeinflusst, ihn zu einem der außergewöhnlichsten Saxofonisten Deutschlands zählen lassen. Als solcher spielt er auch in den Projekten Piere Favres oder Michel Godars mit. 2003 wurde Kroll mit dem Jazzpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

BOOKLETTEXT zu Passion

Von Werner Stiefele
Musik soll unterhalten, lautet die allgemein übliche Forderung. Aber ist das alles? Eigentlich nicht, denn Programmusik wie Patrick Bebelaars Komposition „Passion“ übersetzt Stimmungen, Gefühle, Gedanken in Töne und bildet außermusikalische Ereignisse nach. „Passion“ spiegelt, wie einer die abendländische Tradition anzweifelt, wie er mit aller Macht der Töne wissen will, woher wir kommen und wohin wir gehen. Wir werden Zeuge auf der Suche nach der eigenen Identität, die sich in der gesamten Struktur der CD niederschlägt und in „Orplid“ einen Gegenentwurf zu „Passion“ andeutet. Patrick Bebelaars Musik taugt zu weitaus mehr, als ein Abendessen oder Gespräch zu untermalen. Sie ist komplex, sie wirft existentielle Fragen auf, sie verwirrt. Mich wühlte diese Suche so auf, daß es Monate dauerte, bis ich über die Platte schreiben konnte. Noch nie war ich nach dem Hören so aufgelöst und nachdenklich wie nach Patrick Bebelaars „Passion“. Was ist das großartige Werk eigentlich? Ein religiöses Werk? Nein. In deutscher Aussprache erinnert der Titel „Passion“ zwar an die Leidensgeschichte Jesu – und damit wären wir beim Kern der christlichen Religion und damit auch der abendländischen Kultur. Allerdings geht es Patrick Bebelaar, wie er selbst sagt, „nicht um das Leiden Jesu“. In „Passion“ zieht kein Jesus nach Jerusalem ein, wird kein Mensch gefangengenommen, gefoltert, verspottet und ermordet. Trotzdem berichtet „Passion“ von Schmerzen, von Annäherungen, Ablösungen, psychischer Gewalt, Zerstörung und einer eigenen, persönlichen Erlösung. Das hat viel mit der englischen Bedeutung des Wortes „Passion“ zu tun, also mit Leidenschaft, Begeisterung, Hingabe. Diese Mehrdeutigkeit entspricht Patrick Bebelaars großer, in zentrale Fragen der Gegenwart berührende Komposition. Ihn beschäftigte eine „zeitgemäße und zeitgerechte Verbindung zwischen der ‚Jetztzeit und jener Tradition, die über Jahrhunderte hinweg die europäische Kultur prägte“, betont Patrick Bebelaar – also auch seine eigene, persönliche Erziehung, sein Werte- und Normensystem. In letzter Konsequenz stellt „Passion“ jene Haltung in Frage, die Patrick Bebelaar als „abendländische Leidenskultur“ bezeichnet: Das Leiden ist kein Weg zu Erlösung und Glückseligkeit. Was aber tritt an dessen Stelle? Mit der Komposition „Orplid“ tastet sich Patrick Bebelaar an eine Antwort heran – allerdings völlig anders als die wütenden Free-Jazzer der 60er und 70er Jahre, nämlich diszipliniert, überlegt, trotzdem emotional, zudem technisch brillant. Was in „Passion“ und „Orplid“ wild klingt, hat Struktur, folgt einem Konzept, vermittelt Inhalt. Mit Johann Sebastian Bachs Choral „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ verwendet Patrick Bebelaar eins der zentralen Themen der abendländischen Leidenskultur. Fast schon eine Ironie der Musikgeschichte: Dieses Motiv findet sich auch in den Kirchenliedern und Chorälen „Beim letzten Abendmahle“ und „Befiehl du deine Wege“: Es wandelt sich, übernimmt modifizierte Inhalte, paßt sich an veränderte Werte, Normen und Bezugspunkte der christlichen Religionen an. Die eigene Freiheit betonend, kopiert Patrick Bebelaar dieses Motiv nicht exakt, sondern verändert es am fünften Ton geringfügig. Johann Sebastian Bachs Choral „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ verklärt das Ertragen der Brutalitäten ins Heroische. Bei ihm findet sich kein Ton des Bedauerns, kein wütender Aufschrei über die Folter Jesu. Doch genau dieses Dulden, dieses Einverständnis mit der Opferrolle fordert zum Widerspruch heraus. Die grundlegenden Verhaltensmuster einer Gesellschaft auf diese Haltung zu gründen, erscheint eingedenk des millionenfachen Mords, der in den „Vernichtungslagern“ der Nazis industriell durchgeführt und auf den Schlachtfeldern des 2. Weltkriegs generalstabsmäßig organisiert worden war, als zynisch. Angesichts weltweiter Menschenrechtsverletzungen, Kriege und Völkermorde, angesichts einer in arm und reich gespaltenen Welt, Gentechnik und erdrückendem Informationsumschlag braucht es aktive, demokratische Antworten auf die Fragen nach Moral, Werten und Normen, nach denen wissenschaftlicher und technischer Fortschritt, beurteilt und – fast utopisch – beeinflußt werden könnten. Die Musik spiegelt, wie schwer diese Ablösung fällt. Aus scheinbarer Stille erwachen im The Beginning (Wenn alles beginnt) überschriebenen Teil ein sirrendes Geräusch und geisterhafte Tonstimmen, über die sich vom Klavier eine düstere Variante des Themas von „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ schiebt. Das Ensemble reagiert weitaus weniger zustimmend als Bach: Es ballt dieses Thema und drei Kontrapunkte zu wilden, aufgewühlten Klängen. Anfangs singt die Elektrogitarre noch mit, doch in The Depth Of Dispair (In der Tiefe der Verzweiflung) deutet sich ein tiefes Zerwürfnis an: Sie geifert, stottert, brüllt den Schmerz heraus, sie fahndet am Korpus nach neuen Tönen, sie erinnert sich vage an den Jazzstandard „Round Midnight“, aber auch – kaum wahrnehmbar – an verschiedene Stimmen aus Bachs Choral. Diese Selbstzweifel unterstreicht das Schlagzeug mit nervösen Attacken. Angesichts dieses scheinbaren Chaos aus Noise, Fetzen des Hauptmotivs und einer erahnbaren Harmonik im d-moll-Bereich mahnt das Piano in seinen tiefen Registern deutlich das Bach-Thema an, bis es, getragen von Piano und Sopransaxofon, fast schwerelos über allem schwebt: „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ als Erlösung. Das versöhnliche Klavierostinato mit dem Wandel von d-moll auf B-Dur des Abschnitts Sigh Of Relief (Atempause) gewährt Entspannung – und doch bleibt der Optimismus vordergründig. Ein Hauch von Melancholie bleibt spürbar, zumal das abwärts gerichtete Thema an das Motiv „Duscha Moja“ (Meine Seele) anknüpft, das in Patrick Bebelaars Biographie für die Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Lebenszielen steht. Diese Atempause währt nicht ewig. In Searching And Searching (Suchen und suchen) halten Piano, Cello und Sopransaxofon noch vage Erinnerungen an die Kontrapunkt-Motive des ersten Teils von „Passion“ aufrecht. Scheinbar ziellos spielen Cello und Saxofon nebeneinander her, anfangs brüchig, später das Cello auch kratzend und das Saxofon überblasen. Sie klagen isoliert, nähern sich an, gewinnen Kontakt, sind Vierteltöne voneinander entfernt, reiben sich, finden Gemeinsamkeiten, verlieren sie wieder: Diese Suche nach der eigenen, zeitgemäßen Identität bereitet Schmerzen, aber sie ist nicht bodenlos. Wohl aber greift sie die Existenz an. Ohrenbetäubender Lärm verkündet Death Is Next To You (Todessehnsucht). Noch einmal drängt sich „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ auf: im Jargon des aggressiven Noise, zu Bruchstücken verstümmelt, brüllend, bösartig. Die abendländische Leidensmythologie läßt den Suchenden auf keinen Fall los. Erst auf dem Höhepunkt mischt sich das Schlagzeug ein, wirbelt die Klangfetzen auf, überlebt sie mit unruhigem, nervösem Puls. Der Kopf ist leer, und das Thema von „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ einen Moment zurückgedrängt. Das gibt dem Klavier Raum, in Presentiment (Vorahnung) mit einem neuen Thema eine friedliche Idylle vorzubereiten, die sich in Glance Backward (Zurückschauend) über einem magischen Ostinato zur weiträumigen Jazznummer auswächst. Dabei spielt der beständige Wechsel der Tonarten g-moll und Es-Dur auf den Abschnitt „Sigh Of Relief“ an – allerdings überwiegt diesmal der Moll-Charakter. Dank der gelassenen Basstöne des Cellos und dem sanften Puls des Schlagzeugs entsteht eine verzaubernde Klanglandschaft. Wie mit Flügeln schwingen sich Gitarre und Sopransaxofon erst unisono, dann in gebührendem Abstand mit weiträumigen Melodien über dem magischen Ostinato des Klaviers empor, während das Cello immer stärker die Solistenrolle übernimmt. Doch der Schein der Idylle trügt. Das Piano kapriziert sich auf ein ostinates D und verweist damit auf die Grundtonart von „Passion“: Die schmerzliche Suche nach der Identität kann, nun von der Erinnerung an „Presentiment“ ausgehend, ein weiteres Mal beginnen. Die Musik dünnt aus, ein c-moll-Arpeggio der linken Hand verändert das Grundtonempfinden, in Cello, Sopransaxofon und Piano deuten sich neue Reibungen und Verwerfungen an. Nochmals flimmert die Luft wie zu Beginn der Passion durch zirpende Klänge von Cello und Gitarre: Es gibt keinen Stillstand, zumal das Sopransaxofon auch nach der scheinbaren Überwindung der Leidenskultur immer noch auf „O Haupt voll Blut und Wunden“ zurückgreift. Dies erschreckt so sehr, daß Patrick Bebelaar erstmals auf der Platte aus der strengen Form fällt, indem er nahtlos ans beendete „Passion“ mit seiner Vertonung des Gedichts Jetzt bin ich allein von Peter Turrini anschließt. Die Suche nach der Identität setzt sich auf einer anderen, privateren Ebene in der Auseinandersetzung mit einem Verlust fort. „Erinnerst du dich…?“ fragt die erste Zeile einer jeden Strophe – und doch weiß der Hörer, daß genau dieses „du“ nicht mehr als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Sehr verletzlich singt Katharina Biehler, eingangs noch vom Viepen begleitet, dann á capella, mit brüchiger Stimme. Von Strophe zu Strophe schreitet der Tag fort, während das „Ich“ immer deutlicher erkennt, daß eine Beziehung beendet ist. Fast unmerklich sinkt die Melodie bei jeder Wiederholung einen Ton tiefer – es geht abwärts. Als die Nacht anbricht, findet selbst der begonnene Satz kein Ende mehr. Wohin? Wie geht es weiter? Nichts ist nötiger als eine Atempause. Die gewährt die glückliche, beseelte Stimmung von Duscha Moja (Meine Seele). Zunächst stellt Patrick Bebelaar das Thema solo vor, dann gesellen sich nacheinander Günther Lenz am Kontrabaß und die von Herbert Joos herrlich atemreich geblasene Trompete hinzu. Dabei ist „Passion“ nicht vergessen. Im Gegenteil stellt das Thema selbst, die Nähe der Tonart d-moll von „Duscha Moja“ zum B-Dur im Abschnitt „Sigh Of Relief“ und die Quinte im Ostinato der linken Hand verwandtschaftliche Bezüge her. Wer sind wir? Wer sich nur um solche Fragen kümmern würde, wäre bald verrückt. Sie sind wichtig, aber sie bestimmen nicht das ganze Leben. Auch Patrick Bebelaar kann leicht, locker und – abseits der schweren Gedanken – sehr unterhaltsam musizieren und – wie nebenbei – auf den internationalen Charakter der musikalischen Entwicklung verweisen. Der melancholische, trotzdem beschwingte Tango hat wenig mit dem argentinischen Original zu tun. Anfangs wirkt er wie eine kunstvolle Fortentwicklung der Unterhaltungsmusiken aus den Pariser, Moskauer und Berliner Ballsälen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Doch nichts bleibt, wie es ist. Herbert Joos und Günther Lenz rufen mit der gestopften Trompete und dem Kontrabaß ins Gedächtnis zurück, daß der Tango in zweiten Jahrhunderthälfte zur Kunstmusik destilliert wurde. Noch deutlicher wird dieses gebrochene Verhältnis zur europäischen Salonmusik im Valse, den Patrick Bebelaar seinen „Short Love Tales No. 1-9“ entnahm und für das Trio bearbeitete. Die morbide Piano-Einleitung findet in Herbert Joos Trompetensolo eine großartige Fortsetzung. Während Joos die Luft heiß und rauh durch sein Instrument strömen läßt, greift Patrick Bebelaar wohldosiert und sparsam in die Saiten seines Flügels: Selbstverständlich sind die Zeiten der Walzerkönige vorüber. Uns heutigen bleibt der Nach- und Widerhall – und die distanzierte Freude am Vergangenen. Dies entspricht den Träumereien von zwei jungen Männern, die sich in Eduard Mörikes Novelle „Maler Nolten“ mit der Fantasieinsel Orplid einen Mikrokosmos schaffen, in dem sie „die herrlichen Reste des Altertums“ durchstöbern. „Beinahe tausend Jahre“ liegt der Untergang dieses Reichs zurück, den Mörike in dem Schauspiel „Der letzte König von Orplid“ schildert, das er in die Novelle integriert hat. Sich mit dem Vergangenen erneut zu befassen, birgt Chancen in sich: Mörike erzählt, daß sich auf Orplid wieder „eine Anzahl europäischer Leute, meist aus der niederen Volksklasse… ansiedelte“ und dort „Nahrung aller Art… im Überfluß“ vorfand. „Die neue Kolonie gestaltete sich mit jedem Tag besser…“ Diese Mischung aus alt und neu, aus Tradition und Improvisation, macht Patrick Bebelaar zum Thema des Stücks „Orplid“. Er entwarf eine Grundstruktur mit Motiven und Verhaltensmustern, mit denen er, Günther Lenz und Herbert Joos jonglieren. Jeder kann zu jedem Zeitpunkt eingreifen, die – musikalische – Handlung mit erzählen, den vorgegebenen Rahmen mit seiner Phantasie bereichern. Wie in einem Drama schmücken dabei Seitenstränge und Nebenfiguren in Gestalt anderer Motive die Handlung aus. Zunächst versetzt ein kräftiger Strich mit der Hand quer über die Saiten des Flügels in eine Märchenlandschaft. Die ersten mit den Tasten angeschlagenen Töne verfestigen sich zum Akkord aus den zwei Sekunden Gis-A und Cis-Dis. Kurz klingt ein Motiv aus Patrick Bebelaar älterer Komposition „First Black“ (CD „Raga“, dml 002) an. Es wird ebenso wie ein zweites, kurz aufflackerndes Motiv immer wieder ins Spiel kommen. Mit luftreichen, etwas schrillen, explosiven Tönen erhebt sich Herbert Joos‘ Trompete über das Stimmengewirr: die herrschaftsfreie, jedoch nicht zügellose, in einigen Abschnitten sprunghafte, doch insgesamt sehr disziplinierte, überaus aufmerksame Kommunikation beginnt. Höhepunkte bauen sich auf, Rückfälle in Solo- und Duomomente nehmen die Intensität zurück. Wie Streitgespräche wirken manche Abschnitte, und in anderen scheinen Bündnisse geschmiedet oder Glücksmomente ausgekostet zu werden. Ruhephasen mit romantischen Melodien, magischer Gruppenklang, Entspannung, Versöhnung und eine überraschend turbulente Schlusssequenz halten die Spannung aufrecht. Dank seiner Offenheit für Improvisationen wirkt dieses zweite große programmusikalische Stück in der Gesamtstruktur des Albums wie ein freundlicher Gegenentwurf zur verzweifelten Suche von „Passion“. Das abschließende, für sich selbst stehende Untitled schafft – ähnlich wie die Stücke zwischen den langen Werken – Raum zum Nachdenken. Schemenhaft umkreist diese sanfte Elegie das Motiv eines Volkslieds, dessen Identität die Hörer selbst entdecken sollen. Patrick Bebelaars wunderbare Platte „Passion“ ist tief in der europäischen Musiktradition verwurzelt – und dies trotz der enormen Freiheiten zur Improvisation. Derart dichte und intensive Kompositionen und Improvisationen werden nur selten gespielt und veröffentlicht. Ich bewundere Patrick Bebelaar dafür, daß er trotz aller Widerstände in den Lagern von Jazz und Neuer Musik seinem Weg treu blieb, eine eigene, unverwechselbare musikalische Handschrift zu entwickeln, und ich danke ihm, daß er diese große Musik geschrieben und aufgenommen hat. Sie hat mich bei jedem Hören berührt.

Pressestimmen zu Passion
Virtuose Flammen aus poetischen Klangbildern
Drei Meister sind sich einig: Das Patrick Bebelaar Trio spielte in der Manheimer Klapsmühl´ am Rathaus
Und wieder ist eine neue Jazzgröße herangewachsen, denn die Szene blüht und gedeiht unentwegt. Der Stuttgarter Pianist Patrick Bebelaar, Jazzpreisträger 2000 des Landes Baden – Württemberg stellte seine verblüffende Kunst bei der IG Jazz in der Mannheimer Klapsmühl´ am Rathaus vor. Für sein Trio hat er nicht irgendwelche Begleiter hinzugeholt, nein, die Besten sind gerade gut genug: der Trompeter Herbert Joos und der Bassist Günter Lenz. Die beiden Großen hatten ihren Spaß daran, einen Abend lang sich ausschließlich in die Kompositionen Bebelaars zu vertiefen. Atmosphärisch geöffnete Klangbilder von großer Poesie sind die kompositorischen Entwürfe des Pianisten. Eine Poesie, die gleichfalls nicht ausschließt, dass virtuose und dissonante Flammen herausschlagen.
Die Weite seiner Klangwelt machte Bebelaar deutlich in seiner Solo-Nummer „Will We Meet Again“. Modale Ausflüge über eine ostinate Grundlage, solche Modelle sind immer wieder eine gute Ausgangsbasis. Aus profunder Ruhe heraus startet der Pianist seine harmoniegesättigten Klanglandschaften, lässt sie Weite und bald auch Intensität gewinnen. Und was für eine! Kraftvoll eingemeißelte, rasant donnernde Oktavparallelen kommen in große Fahrt, greifen aus zu wuchtigen Katarakten. Bebelaar ist ein starker Improvisator, dessen klassische Schulung ein unüberhörbares Rückgrad bildet. Zu frenetischen Attacken verdichtet er sein Spiel, zu komplex geschachtelten Rhythmen und scharf zugespitzten Harmonien. Das spätromantisch wuchernde Virtuosenvokabular eines Skriabin und Rachmaninow ist in Bebelaars Kunst auf dem Gipfel des entfesselten Rausches noch weitergeführt, verschärft. Dazu passt es auch, wenn er gerne die klanglichen Extreme aufsucht, dunkle schwere Bässe dröhnen und die hohen Diskanttöne krisstalin klirren lässt.
Elementare Kräfte schlummern in der Musik des Stuttgarters, das gilt für das Ruhevolle ebenso wie für das Kraftgeladene.
„Morning Light“ hieß eine weitere Komposition, die den atmosphärischen Gehalt im Titel wie im Klanggebaren trug. Die besondere Qualität des Lichtes am frühen Morgen wurde farbintensiv erkundet, vom gedeckt dämmernden bis zum hell Aufstrahlendem. Schönste Stimmungen entwarf dabei Herbert Joos, der seinem Flügelhorn viel Hall beigab, kraftvoll voluminöse Töne formte, diese auch furios aufbäumte und in reichgezackten Figuren schillern ließ. Und nach den wildesten Eruptionen schwenkte die Musik immer wieder ein in romantische Gefilde. In einem Tango etwa, stolz und schön und kaftvoll, ebenso auch wie Günter Lenz´ erdigem Kontrabass-Solo, geformt. Das Tango-Solo der gestopften trometeaber war keine Nostalgie, sondern frische Leidenschaft pur.
Eine groß angelegte Komposition Bebelaars füllte den zweiten Set, und seine Vorliebe für spanische Modi schlug ornamentreiche Blüten, immer im schönen Wechsel mit lakonisch und knorrig dazwischenfahrendem Blues. Die spanischen Harmonien allerdings waren längst nicht so glatt poliert wie bei Chick Corea, sondern tönten mit ausgesprochenem Gefallen an schabenden Nebentönen und mit dem Mut, das Gefällige zum wilden Exzess zu intensivieren. Darin waren sich drei Meister einig.
(Rainer Köhl, die Rheinpfalz, 26.4.01)


Farbenfrohe Stücke in hoher Spielkultur
Im Jazz ist nichts unmöglich, vor allem keine Instrumentalkonstalation. Mit Klavier, Trompete und Baß wartete jetzt der 30-jährige Trierer Pianist Patrick Bebelaar im Jazzclub auf.
Der Träger des Jazzpreises Baden – Württemberg des vergangenen Jahres verläßt, auch musikalisch, gerne ausgetretene Pfade. Formaler und freier Jazz liegen bei ihm nah beieinander. Als Triopartner konnte er zwei der hervorragendsten deutschen Jazzmusiker gewinnen.
Der Karlsruher Trompeter mit Weltruf, Herbert Joos, ist doppelt so alt wie Bebelaar. Musikalisch klingen beide gleich frisch.Und die Soli des Virtuosen gehen noch immer, vor allem auf dem Flügelhorn, unter die Haut. Der 62-jährige Günter Lenz orientierte sich schon immer am Puls der Zeit,, was man bei seinen zahlreichen eigenen Formationen nachhören kann. Youngster Bebelaar behauptete sich gegenüber den beiden alten Hasen des deutschen Jazz mit seiner ebenfalls ausdrucksstarken und ausgereiften Spielweise.Hörbar wurde die Tatsache, daß das Trio schon seit zwei Jahren miteinander musiziert. Das Programm des gutbesuchten Konzertes bestand aus Stücken der gerade vorgelegten CD „Passion“ und wies all drei als Komponisten aus.
Farbenfrohe Stücke, die immer wieder formal Überraschungen zu bieten hatten. Die hohe Spielkultur, dynamische Kniffe und ein reifer Sinn für Ästhetik machten aus den Stücken dicht verwobene Lyrik. Zwei Zugaben, väterliches Umarmen und Schulterklopfen seitens der „Alten“ – sympathisch
(Peter Bastian BNN, 17.2.01)


Erst zuhören, dann genießen
Herbert Joos und Günter Lenz sind lange im Geschäft und in der Szene dafür bekannt, dass sie ausgetretene Pfade des Modern-Jazz gerne mal verlassen. Der jüngste im Trio hingegen hat noch nicht allzu tiefe Spuren hinterlassen und weckt die Neugier der Zuhörer. Patrick Bebelaar, Pianist und Baden-Württembergs Jazz-Preiträger des Jahres 2000, tritt als ausgeglichener Typ auf, dem man Braves zutraut.
Dass Bebelaar ein schlichtes Klavier bis an die technischen Grenzen bespielt und manchmal sogar diese noch weiter zu verschieben sucht, merkt man erst bei seinen Solostücken, mit denen er gelegentlich in sein Trioprogramm auflockert. Während Bassist Lenz und Trompeter Joos verschmitzte Blicke austauschen, wühlt Bebelaar in der Tastatur seines Instruments und erzeugt faszinierende Klänge, die die Grenze zum Krach verwischen lassen. Doch auch der Krach ist Teil seines Repertoires und wird als Stilmittel kalkuliert eingesetzt. Genau wie das lieblich-süßliche Zupfen einzelner Klaviersaiten, das an eine japanische Koto-Harfe erinnert und zur Untermalung Joosscher Flügelhornlinien dient.
Wie ein Fels in der Brandung wirkt da Lenz. Der schlacksige Lockenkopf aus Hessen ist der Anker der Formation, wenn die beiden anderen zu ihren Kollektivimprovisationen in unbekannte Gewässer aufbrechen. So spannend und unorthodox die Musik des Trios auch ist, die Zuhörer brauchen offenbar irgendeinen Anhaltspunkt, um so richtig mitzugehen. Die meist mit einer Ostinatolinie in der linken Hand unterlegte Melodie der Rechten und die ständig schwankenden Tempi machen es dem Publikum im halb besetzten Klapsmühl‘-Theater nicht gerade leicht Bebelaars Musik mitzufühlen. So erscheint sein Applaus dann auch eher aus Bewunderung als aus Begeisterung erzeugt.
Erst bei einem fast untypisch klingenden aber umso vehementer intonierten Tango kurz vor der Pause, bricht das Klatschen und Rufen der Zuhörer spontan und euphorisch heraus. Weder als leichte Kost noch als Modernjazz, wie in der Ankündigung ausgedruckt, kommt die Musik von Patrick Bebelaar daher. Sie gleicht eher einem abstrakten Bild, dessen Bedeutung und Charme sich dem Betrachter nicht beim ersten Ansehen offenbart. Doch wenn man sich in Bebelaars Klangbilder eingehört hat, schwankt der Eindruck von Faszination bis hin zum richtigen Genuss.
JAZZ: Preisträger Patrick Bebelaar als Jüngster im Trio
(Andreas Ahlemann, Mannheimer Morgen – 27.04.2001)


Anspruchsvoll Und Unverkrampft
Patrick Bebelaar hat sich den Tübingern nicht gerade aufgedrängt. Seit ziemlich genau einem Jahr lebt der Jazzpreisträger in der Unistadt, doch aufgetreten ist er in seiner neuen Wahlheimat noch nicht. Erst jetzt gab es die erste Gelegenheit, den 30-jährigen Pianisten live zu erleben. Mit Herbert Joos, sowie Günter Lenz hat er am Montag hochkarätige Verstärkung ins Brio gebracht.
Der gebürtige Trierer huldigt nicht dem Bebop-Schema, sondern schöpft erkennbar aus europäischen Traditionen und seinem klassischen Background – was keineswegs bedeutet, daß alles bis in Detail festgelegt ist. Bebelaar zieht grundsätzlich eine aleatotrische Kompositionweise vor und läßt seinen Mitstreitern viel Spielraum. Da wechseln freie und notierte Passagen, gibt´s reichlich überraschende Wendungen und unerwartete Einsprengsel.
Das Trio, das eben noch verträumt-beseelte Stimmungen heraufbeschwört, wechselt in die freie Improvisation, nähert sich danach auf distanziert-gebrochene Weise der europäischen Salonmusik, swingt und groovt im nächsten Augenblick und erweist wenig später dem Tango seine Reverenz. Erst erklingt „Duscha Moja“, „dann hat der Günter ein Stück erfunden“, wie Bebelaar lächelnd feststellt, drauf folgt „Valse“ und der Sonny-Rollins-Klassiker „St. Thomas“. Zum ersten Sets spielt Bebelaar seinen Tango.
Selbst wer ganz auf swingenden Jazz amerikanischer Prägung eingestellt ist, kann sich der Faszination kaum entziehen. Bebelaar, Joos und Lenz bieten hoch komplexe Musik völlig unverkrampft, nehmen die Sache ernst und haben dennoch ihren Spaß. Da kann´s auch mal passieren, daß Joos mit hupenden Trometentönen dazwischenfährt und Bebelaar vor lauter Lachen ein paar Takte aussetzen muß. Wer miterlebt, wie die drei im Brio miteinander harmonieren, mag es gar nicht glauben, daß sie in den vergangenen zwei Jahren nur ein paar Mal gemeinsam auf der Bühne standen.
Wie die meisten Stücke des Abends, stammt auch „Orplid“, dass den gesamten zweiten Teil des Konzerts ausfüllt, von Bebelaars jüngster CD mit dem Titel „Passion“ und macht deutlich daß der Wahl – Tübinger den Jazzpreis des Landes nicht etwas zufällig erhalten hat. Bebelaar stellt höchste Ansprüche an sich und seine Mitstreiter und entwirft an Anlehnung an Mörikes Novelle „Orplid“ einen musikalischen Mikrokosmos. Lenz, Joos und Bebelaar meistern die anspruchsvolle Aufgabe souverän, die Reaktion des Publikums zeigt, daß „Neue Musik“ durchaus nicht zwangsläufig als schwierig und anstrengend empfunden werden muß.
Reutlinger Zeitung, 6.11.01, Joachim Kreibich