Patrick Bebelaar Quartett
Ironische Abrechnung mit den Stilistiken des Jazz.
mit:
Frank Kroll
, Willi Witte,
Henrik Mumm
Nun sitze ich also in einem Zug und fahre nach Trier.
Trier, die kleine Stadt zwischen Eifel und Hunsrück. Niemandsland, in dem man hinter jeder Ecke, hinter jeder Straßenbiegung damit rechnen muß, einem laut lachenden Kolumbus zu begegnen, dessen rechte Hand zur Faust geballt und lediglich den mittleren Finger senkrecht in die Höhe streckend, er dir entgegen schleudert und triumphierend schreit, er habe nur einen Scherz gemacht, die Welt sei doch nicht rund und: Hier wäre das Ende der Scheibe.
Niemandsland, wo einst jedoch Karl Marx das Licht der Welt erblickte und dessen Lehren später einen Siegeszug über die ganze Welt antraten. Auch dies würde für die Randlage Triers sprechen, denn wenn hier alles begann, muß auch hier der Anfang, oder je nach Sichtweise, das Ende sein; jedenfalls der Rand! Ob Anfang oder Ende kann wohl genau so wenig gesagt werden wie man je erfahren wird, ob der schwarze Kontinent schwarz wurde, weil die Sonne ihn ständig beschien oder ob er zuerst schwarz war und dann, weil Schwarz bekanntlich die Sonne anzieht, die Erde in die entsprechende Lage brachte. Jedenfalls ist es folgerichtig, daß Trier am Rand liegt!Nun sitze ich also im Zug nach Trier, aber das sagte ich ja bereits.
Der Zug ist natürlich am Wochenende vollkommen überfüllt und ich bin mehr als glücklich, daß ich Ausnahmsweise mir einen Platz habe reservieren lassen.
Draußen zieht die weiße, schneebedeckte und friedlich ruhende Landschaft an mir vorbei. Normalerweise hat man in dieser Landschaft einen weiten Blick, aber heute ist die Luft weiß vom Nebel gefärbt und der Blick geht keine 20 Meter (In den Tunnels scheint mir das sogar noch etwas zu hoch gegriffen!).
Heute Abend werde ich in Trier einen Freund besuchen. Er hat gerade meinen Flügel verkauft. Eigentlich kein Grund zu feiern, denn es war ein königliches Instrument. Ein Grodrian – Steinweg Flügel von 1923. Er war 2,27m lang und seine Saiten waren mit blauem Filz abgedämpft. Seit wenigen Jahren waren Mechanik und Saiten neu und an seiner Lyra rühmte er sich eines Sustenuto – Pedals, dessen Messinglanz von Wohlstand und Luxus zeugte. Die Mechanik war so schwer mit Bleien aufgerüstet, daß nur die geübtesten Pianisten es verstanden, ihr Töne zu entlocken. Ja, dieses Instrument gab sich nicht jedem bedingungslos hin, und wer es nicht verstand, gar frevlerisch Stunde über Stunde es mit amateurhaftem und unleidenschaftlichem Spiele nervte, den bestrafte es mit Sehnen- und Muskelschmerzen besonderer Güte.
Mir selbst war der Flügel immer sehr freundlich gesinnt, was natürlich klar war, denn schließlich wurde er nach meinen Vorstellungen umgebaut und sein Inneres zu neuem Leben erweckt.Doch wie es so ist, kam der Tag, der kommen mußte, ich hatte kein Geld. Ich konnte wählen: Wollte ich den Flügel behalten, müßte ich mehr Geld für eine Wohnung ausgeben, die mir einen entsprechend großen Raum böte, um dem Klang, dem Instrument gerecht zu werden, oder sollte ich mich für eine kleine Wohnung entscheiden, mit Nachbarn und einem e-piano und der Möglichkeit Tag und Nacht zu üben (was man mit einem e-piano jedoch nicht macht, da es nach Sex mit einer aufblasbaren Gummiepuppe schmeckt und man deshalb lediglich die eigenen Körperfunktionen überprüft und, wenn man sie für den schlimmst anzunehmenden Ernstfall, einsatztüchtig genug hält, sofort ausschaltet und auf einen ernst zu nehmenden Gegner oder auch Partner wartet. Eben ganz so wie bei dieser Gummiepuppe, von der ich jedoch weiter nichts weiß, außer daß sie ein Gefühl beim Sex vermittle, wie Gummistiefel beim Schwimmen.)
Außerdem war es mir möglich, mit dem Rest des Geldes eine CD zu machen; und was nützt mir ein Instrument zu Hause, während kein Mensch auf der Welt von mir und meinen Kompositionen erfährt? Also entschied ich mich für die Trennung.
Und nun fahre ich also nach Trier zu eben diesem Freund, der meinen Flügel verkauft hat und mich nun zum Essen eingeladen hat. Jedenfalls werde ich heute Abend dort zum Essen erwartet, – den Wein dazu bringe ich mit. Natürlich ist es ein schwerer Rotwein, den man für gewöhnlich nicht zu Fisch serviert und es wird Fisch geben. An einem solch kalten Winterabend, an dem man doch eigentlich nur sein trauriges Leben für einige wenige Stunden verdrängen möchte, sollte der Wein seine Wirkung schnell und intensiv zeigen. Vielleicht setzt ja auch noch das Hirn für eine kurze Weile aus und verkürzt somit die individuell empfundene Leidenszeit.Und jetzt höre ich auf zu Schreiben, da ich seit eineinhalb Stunden gegen die Fahrtrichtung sitzend schreibe und mir deshalb schlecht ist. Außerdem sitze ich sehr unbequem und das Kreuz, das ja bekanntlich jeder von uns tragen muß, tut mir besonders weh und ich kann nur hoffen, daß man dies im Jenseits registriert und mir auf der Habenseite anrechnet. So daß wenigstens der Kontostand dort oben nach meinem Ableben und nach Abzug der Mehrwertsteuer positiv, oder doch zumindestens ausgeglichen, ganz im Gegensatz zu meinem irdischem, mich erwarten möge. – Amen
Es fragt sich was dieser Text mit der vorliegenden CD zu tun hat. Fünf Gründe sind es:
Erstens schreibe ich gerne und zweitens habe ich diese CD gemacht, deren finanziellen Hintergrund mein Text andeutet. Drittens kann man über den Sinn und Unsinn dieses Textes ähnlich streiten wie über meine Musik. Viertens: Fünf ist meine Lieblingszahl. Zu allerletzt: Nichts!
Patrick Bebelaar
Pressestimmen zu „never thought it could happen“
Patrick Bebelaar, Klavier; Frank Kroll, Saxophon, Klarinette; Henrik Mumm, Base, Cello; Willi Witte, Schlagzeug
dml-records CO 007
Wäre das Booklet das Aushängeschild dieser CD und dessen Informationsgehalt als einziges Kriterium zu seiner Beurteilung tauglich, so käme zunächst nicht viel Gutes dabei heraus. Der einzige in ihm zu findende Text, von Bebelaar selbst, hat inhaltlich nichts, aber auch gar nichts mit der auf der CD enthaltenen Musik zu tun. Er verbreitet aber genau die Stimmung, die auch die gesamte CD ausmacht. Spannt Bebelaars Text einen weiten Bogen aus trivialen Ereignissen, die keinen Anspruch erheben, aber großen Unterhaltungswert besitzen, so tut dies auch seine Musik. Hier reicht der Boden von russischer Volksmusik über Tangorhythmen bis hin zum saarländer Mädel. Dazwischen finden sich Stücke wie der Titelsong never thought it could happen, der einen Teppich von perfekt ausgehörtem Schönklang ausbreitet und die vier Musiker als eine Einheit erleben lässt. Oder die sweet de snove, auf einer Tonfolge aufbauend, aus der sich erst nach und nach eine mit großem Glanz vorgetragene Melodie entwickelt, die ihren Höhepunkt in einem Duett zwischen Bass und Saxophon findet. Aber gerade hier wird der (wenn auch minimale) Kritikpunkt an dieser CD sichtbar. Manchmal wünschte man sich etwas mehr Dominanz von Seiten Bebelaars.
Alexander Kopp (Neue Zeitschrift für Musik)
Bewertungen: musikalische Wertung-4
technische Wertung-5
repertoirewert-2
booklet-2
gesamtwertung-4 (von 1 – 5)
Abenteuer : gehört
Der Pianist Patrick Bebelaar
Jede Platte des Stuttgarter Pianisten Patrick Bebelaar wird zum Hör-Abenteuer.
Mal sucht er die Begegnung mit indischer Musik, mal bewegt er sich in der Nähe
der Avantgarde. Auf der Platte „Never Thought It Could Happen“ gibt er sich in
“Roblinga“ und „Glimpse“ im Quartett mit dem Bassisten Henrik Mumm, dem
Schlagzeuger Willi Witte und dem auf all seinen Produktionen wie
selbstverständlich mit ihm harmonierenden Saxofonisten Frank Kroll so fröhlich
und unbeschwert wie selten. Mit „A La Prima Vera Corta Que Tuvimos“ schuf er
einen wunderschönen Ohrwurm, und das aufwühlende „Lenny“ wurzelt im groovenden
Soul-Jazz. Andererseits wird „My Late Coming Out“ zur ungewöhnlichen Klangreise,
in die auch Drum And Bass Elemente und dunkle Elektrobassmotive aufgenommen
sind, die aber letztendlich bei einem romantisch-beseelten Motiv endet. Wie eine
nachdenklich, fast traurige Reise durch eine kälteklirrende Schneelandschaft
wirkt das Titelstück „Never Thought It Could Happen“. Hierfür hat Henrik Mumm
ans Cello gewechselt und Willi Witte die Filzschlägel in die Hand genommen. Aber
auch hier keimt langsam eine melancholische Melodie auf. Jazz? Nicht unbedingt.
Ernste Musik? Ein wenig. Mit Sicherheit kein Crossover. Wenn es nicht so
vermessen wäre: Patrick Bebelaar ist hier sowie in „die sweet dé snove“ einer
eigenen Form der Musik näher gekommen, die in keins der Genres passt, aber viel
von Jazz und Neuer Musik in sich vereint.
w.s. (SZ, Januar 2000)