Interview mit Giselle Turner, Durban


Musik muss für sich stehen

Der Pianist und Komponist Patrick Bebelaar
von Hans Kumpf 

Erstmals traf ich Patrick Bebelaar 1993 auf der Insel Malta, als er beim dortigen Festival am „Grand Harbour“ mit dem jugendlichen Jazzorchester Rheinland-Pfalz aufspielte. Der 1971 in Trier geborene Pianist ist jedoch längst in Baden-Württemberg heimisch geworden. Im Jahre 2000 wurde ihm der Jazzpreis des südwestdeutschen Bundeslandes zuerkannt. Und immer wieder trat Bebelaar mit außergewöhnlichen Projekten hervor, so mit der sich auf Bachs h-moll-Messe (BWV 232) beziehenden Komposition „Pantheon“, die Anfang September 2005 beim Europäischen Musikfest in der Stuttgarter Leonhardskirche uraufgeführt wurde. Patrick Bebelaar informiert auf seiner Homepage (www.bebelaar.de)ausführlich über sein Schaffen. Trotzdem richtete ich einige Fragen an ihn.

Wie kamst Du zu Johann Sebastian Bach und zu Helmuth Rillings Bachakademie?


Im Jahr 2000 erschien meine CD „Passion“, in der ich mich mit Kompositionspraktiken Bachs auseinandersetzte. So ergab sich der erste Auftrag „Point Of View“ zu Beethoven. Als man mich drei Jahre später erneut anfragte, ob ich mir vorstellen könne, etwas zu Bachs „h-moll-Messe“ zu komponieren, war das natürlich fast wie ein Ritterschlag.

Was fasziniert Dich an der h-moll-Messe besonders?


Der Spannungsbogen, den Bach über diese „Große Messe“ zu halten vermag, der ökumenische Gedanke, der einen Protestanten dazu bringt, eine katholische Messe zu komponieren und, natürlich, die Metaebene, auf der Bach seine musikalischen Anspielungen und Zahlenspiele treibt.

Welche Elemente dieser Bach-Messe hast Du für Pantheon übernommen?



Eben diesen ökumenischen Charakter, der, in die Jetzt-Zeit übertragen, die Einbeziehung anderer Religionen beinhaltet, und die Zahlensymbolik, die ich von Bach übernommen und in meine Komposition eingebaut habe.

Kann man dies alles auch ohne theoretische Vorkenntnisse und ohne erläuternde Analyse durch den Komponisten Bebelaar wirklich heraushören?



Musik muss immer für sich stehen. Einer Erklärung kann es nicht bedürfen, um Musik gut zu finden. Daher wird man Spaß beim Hören haben oder nicht – ganz Geschmackssache. Man wird sicherlich ähnlich, wie man bei Bach auch Zahlensymbolik und das Spiel mit Intervallen nicht einfach heraushört, vieles unterbewusst wahrnehmen und dies wird dann ein „emotionales Hören“ verstärken. Wer will, kann lesen, was es alles zu entdecken gibt, und hat dann mehr Freude an meiner Musik – oder auch nicht. Auf jeden Fall wird man immer wieder den Einfluss der Melodien aus anderen Religionen erkennen und somit den weltmusikalischen Charakter.

Wie sieht es mit der Instrumentation aus?



Ich habe jede Instrumentengruppe vertreten: Blech- und Holzbläser, Streicher, Schlagwerk, denn die Pauken spielen eine wesentliche Rolle, und die Tasteninstrumente, die eben für die basso continuum-Gruppe stehen. Und das Clavichord, welches ich entsprechend an den a capella-Stellen benutze. Abgesehen davon singt Carlo Rizzo beim Gloria.

Nach welchen Kriterien hast Du die Musiker ausgesucht?



Ich suche immer nach Persönlichkeiten, nach Ausnahmeerscheinungen: Michel Godard ist an der Tuba eine solche, genauso wie Carlo Rizzo, der sich sein eigenes Instrument, ein chromatisches Tamburin, selbst erfunden hat. Fried Dähn hat vor vielen Jahren ein Electro-Cello entwickelt, Herbert Joos und Frank Kroll suchen ebenfalls ihresgleichen am Instrument.

Wie waren die Reaktionen nach der Uraufführung?



Die Reaktionen waren überwältigend: Die Uraufführung war ausverkauft, das Publikum und Auftraggeber hoch zufrieden – und ich fix und fertig.

Wie verlief dann der Weg zur CD?



Eigentlich wollte ich den Livemitschnitt des SWR nutzen, aber dann hätte ich sehr viel herausschneiden müssen, um alles auf eine CD zu bekommen. Daher haben wir am Tag nach der Premiere eine Studioversion aufgenommen.

Stehen weitere Projekte mit der Bachakademie oder anderen „klassischen“ Institutionen an?



Ja, zurzeit arbeite ich an einer weiteren Auftragskomposition für die Bachakademie. Diesmal zu der „Kunst der Fuge“. Ich werde diesen Abend allerdings zusammen mit der Kölner Komponistin Caroline Thon gestalten. Einen Teil wird sie für ihre Besetzung komponieren, einen Teil ich für die meinige und schließlich spielen beide Bands zusammen.

Du hast ja auch mit dem auf Elektronik spezialisierten Professor Ulrich Suesse, der mal bei Karlheinz Stockhausen gelernt hat, zusammen gearbeitet…



Ja, wir haben die Komposition „Ein Traum von wunderbarem Leben“ für das Deutsche Literaturarchiv geschrieben. Also Texte von Mörike und eine Musik, die sich zwischen zeitgenössischem Jazz und Elektronik bewegt. Eine spannende Mischung, die ja ebenfalls dieses Jahr auf CD erschienen ist.

Wie würdest Du Deine solistische Klaviermusik charakterisieren?



Bei meinen Solokonzerten mache ich immer eine „Wanderung“ durch die Welt. Jazz – Tango – Rumba – Südafrikanisches – Russisches – Indisches und natürlich europäische Einflüsse bestimmen den Weg. Es ist meine Aufgabe in diesen Konzerten einen gemeinsamen Weg mit dem Publikum zu gehen, bzw. all diese verschiedenen Elemente mit meiner eigenen Instrumentalpersönlichkeit so zu füllen, dass dies Sinn und Bogen ergibt.

Hast Du auf diesem Instrument spezielle Vorbilder?



Nein, es gibt unendlich viele großartige Musiker, die mir Inspiration sind. Welches Instrument sie spielen, ist dabei unwichtig.

Du hast mir gesagt, dass Dir John Lewis und das Modern Jazz Quartet überhaupt nicht behagen. Warum?


„Gefallen-Wollen“ als künstlerischen Ansatz zu definieren, halte ich für fragwürdig. Aber letztlich wollen wir alle gefallen und geliebt werden. Vielleicht unterschätze ich das MJQ oder aber auch die Prägung durch ihre Herkunft.

Bei den Stuttgarter Theaterhaus-Jazztagen 2004 hättest Du ursprünglich ein Duo mit Wolfgang Dauner spielen sollen. Wie stehst Du zu ihm, und warum hat es mit dem gemeinsamen Auftritt nicht geklappt?



Er ist am Abend vor dem Auftritt erkrankt. Ich musste allerdings in der Vorbereitungszeit zu diesem Konzert alleine üben, da wir uns bis zum letzten Tag weder kennen gelernt noch zusammen geprobt hatten. Daher war es mir ein Leichtes, Solo zu spielen: Und letztlich war das dann wohl auch ehrlicher. Wie ich zu ihm stehe? – Ich habe ihn ja nie kennen lernen dürfen. Die Frage kann ich daher nicht beantworten.

Was hat Dir der Landesjazzpreis gebracht?



Erfolg macht sexy, wie Du siehst… Spaß beiseite! Ich habe damals eine neue CD gemacht, habe Kontakte zum SWR geknüpft usw. Es war sehr hilfreich.

Wie sehen Deine künstlerischen Zukunftspläne aus?



Ich spiele seit sieben Jahren mit Michel und Herbert zusammen, noch länger mit Frank – da ist noch eine Menge Potential nicht ausgeschöpft und eine Vielzahl von interessanten Musikern noch nicht involviert. Aber ich habe gelernt, nicht allzu sehr zu planen und diesen Plänen nicht zu verbissen nachzuhängen. Jetzt steht erst einmal Bachs Kunst der Fuge im Raum und dann… schauen wir mal…

Erschienen im Jazz Podium 2/2008
und bei: www.Jazzpages.com 1/2008


Versiert mit Feingefühl: eine Passion 

Patrick BebelaarTräger des Jazzpreises Baden-Württemberg Expressivität und Feingefühl, Improvisationslust und kompositorische Strenge, Jazz-Tradition und Weltoffenheit – dies kombiniert Patrick Bebelaar in faszinierender Weise. Mit den Oldies Günter Lenz, Kontrabass, und Herbert Joos, Flügelhorn und Trompete, fertigte Youngster Patrick Bebelaar (geboren 1971 in Trier) vor einem Jahr in den Ludwigsburger Bauer Studios Plattenaufnahmen. Jetzt ist das ehrgeizige Unternehmen finanziell endlich ausgepolstert, denn Bebelaar erhält den mit 15 000 DM dotierten Jazzpreis des Landes Baden-Württemberg. Die konzertante Verleihung geht am 26. November über die Bühne des Stuttgarter Theaterhauses.Schon viele Jazz-Erfahrungen konnte Bebelaar in seinem jungen Künstlerleben machen. Da traf man ihn beispielsweise 1993 auf Malta, wo der Student an der Stuttgarter Musikhochschule mit dem Jugendjazzorchester von Rheinland-Pfalz beim Festival in der Hauptstadt La Valletta auftrat. Später eröffnete er virtuos zwingende Festivitäten in Baden-Württemberg – so 1995 die Ludwigsburger Jazztage mit dem fulminanten Steptänzer Thomas Marek oder 1999 die Internationalen Theaterhaus-Jazztage in Stuttgart mit seinem vertrauten Saxophonisten Frank Kroll. Auf CDs setzte sich Patrick Bebelaar neugierig und kompetent mit der „Welt-Musik-Geschichte“ aus einander: Bei dem Silberling „Raga“ kooperierte er mit den bekannten indischen Brüdern Prakash und Vikash Maharaj, auf der Scheibe „Es geht eine dunkle Wolke“ befaßte er sich in seiner bewährten Formation Limes X mit mittelalterlichen deutschen Liedern. Diese beiden Einspielungen wurden sogleich für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert.  Stipendien der Kunststiftung Baden-Württemberg und der University of Natal in Durban (Südafrika) erkannten und förderten das Talent von Patrick Bebelaar. Und: immer wieder hört man bei dem Allround-Instrumentalisten das Können und das Wissen um die Klassik und der Neuen Musik heraus. Nun verbindet Patrick Bebelaar bei seinem neuesten Projekt, welches ebenfalls bei seiner Stuttgarter Firma dml records digital veröffentlicht wurde, intensive Free-Jazz-Eskapaden mit Tanzrhythmen. Bei einem nur „Tango“ benannten Stück setzte Herbert Joos einen Dämpfer auf die Trompete, um einen schneidenden Sound zu erzielen.  Bebelaar tourte schön öfters in Russland, und so nannte er eine Komposition Duscha moja, („Meine Seele“). Durchgehend vernimmt man den schwingenden Sechsachteltakt, zunächst in der Introduktion des Klaviers, dann auch in den Basslinien von Günter Lenz, dem langjährigen Gefährten von Albert Mangelsdorff. Jetzt zeigte sich Lenz erneut als zuverlässiger Partner, wenn er mit konstanter Leichtigkeit das triolenhafte Fundament für ein „luftiges“ Solo von Herbert Joos lieferte. Im Dreiermetrum ging’s dann mit einem Walzer weiter – eine Kammermusik mit Biss und Lyrismen, die in all ihrer Bandbreite vom Immer höchst konzentriert arbeitenden Toningenieur Thomas Schmidt ausgep’egelt und abgespeichert wurde. Das Musizieren ist für Patrick Bebelaar eine Leidenschaft, eine Passion. „Passion“ heißt auch die bis zur Septettbesetzung konzipierte CD-Veröffentlichung, wobei das Titelstück Johann Sebastian Bach mit „O Haupt voll Blut und Wunden“ aus dessen Matthäus Passion ehrt.  Auch Helmuth Rilling dürfte von dieser Passionsversion begeistert sein… Auch bei der ausgedehnten Suite „Orplid“ bezieht sich Bebelaar auf das abendländische Erbe, nämlich auf eine Novelle von Eduard Mörike. Werner Stiefele hat den überaus gescheiten Text zum Album verfasst. Der Pianist Patrick Bebelaar, so ließ der baden-württembergische Kunstminister Klaus von Trotha verlauten, gehört zu den Musikern, die dem Jazz in Baden-Württemberg neue Impulse geben. Durch Originalität, Ideenreichtum und große Schaffenskraft machte er auf sich aufmerksam und bewährte sich in unterschiedlichsten Formationen. Vor allem als Komponist in freieren Formen des zeitgenössischen Jazz hat er sich einen Namen gemacht“. Dies ist zudem die Erkenntnis der unabhängigen Jury, welche mit Bernd Konrad, Gudrun Endress, Frieder Berlin, Achim Hebgen, Herbert Lindenberger, Frederic Rabold und Friedhelm Schulz bestückt war.Hans Kumpf

(Jazzpodium, 11/00)


„Jazz ist wie Sex: unkontrolliert und spontan“
Stipendiaten der Kunststiftung: der Pianist Patrick Bebelaar 

Er spiele „nicht für das Publikum“ und „nicht gegen das Publikum. Ich spiele mit dem Publikum“, sagt der Pianist Patrick Bebelaar. Das könnte man leicht mißverstehen, denn es bedeute keinesfalls, daß er seine Zuhörer nicht ernst nähme. Im Gegenteil. Er spielt mit ihnen, indem er auf sie hört und sie als Bestandteil des Konzertes betrachtet.  Dabei, gesteht er zudem, „spiele ich in erster Linie für mich selbst. Aber natürlich stehe ich voll drauf, wenn das Publikum applaudiert.“In Patrick Bebelaars Konzerten kann es geschehen, daß er aus folkloristisch verträumten Motiven urplötzlich lostobt, zum Berserker wird, mit Händen und Fäusten die Tasten bearbeitet.  „Es reicht nicht, wenn ich laut spiele. Es muß noch lauter sein.“ Nicht die Mittelmäßigkeit, sondern die Grenzüberschreitung ist sein Ziel. Oder, in seinen Worten: „Wenn man denkt, da geht es nicht mehr weiter, noch mehr aus dem Instrument herauszunehmen.“ Denn für ihn hat „Jazz etwas Revolutionäres. Das ist Anarchie. Man ist auf der Bühne, und es gibt keine Noten, die festlegen, was du spielen mußt. Jeder ist sein eigener Herr.“Das klingt wie die zornigen Bekenntnisse der sechziger Jahre, und doch ist es für den 1971 geborenen Pianisten, der als Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg aufgenommen wurde, etwas anderes.  Damals wurden Konventionen gezielt zertreten, weil sie hemmten. Heute sind sie zerstört, und es dauert lange, bis ein Musiker sein Publikum wirklich schockiert. Deshalb kann sich die Anarchie auch beim Swing-Piano an einem Abend mit dem Steptänzer Thomas Marek, verwirklichen: Auf die Intensität des Gefühls kommt es an, auf das „Alles-oder-Nichts“, das Patrick Bebelaar in der Sturm-und-Drang-Periode Goethes ebenso spürt wie in seiner eigenen Musik.Dabei mag Patrick Bebelaar „einfache, nette Melodien mit vielleicht zwei oder drei versteckten Unregelmäßigkeiten“, die er selbst „sehr folkloristisch“ nennt. Die Gruppe Limes X, in der er mit dem Saxophonisten Frank Kroll und dem Schlagzeuger Bernd Settelmeyer zusammenspielt, lebt diese Spannung zwischen Melodie und Free, Attacke und Zärtlichkeit, eine Zwitterexistenz aus Schönheit und Biest auf ihrer Platte und in ihren Konzerten aus.Das Stipendium der Kunststiftung ermöglichte ihm, mit einer Gruppe indischer Musiker eine weitere Scheibe einzuspielen. „So, wie wir mit variabler Dynamik, also laut und leise spielen“, berichtet er von seinen Erfahrungen, „wird es bei ihnen schneller und langsamer.“ Jede Kultur habe ihre eigenen musikalischen Wertmaßstäbe, erfuhr er bei seinen Reisen nach Afrika.  „Warum soll jemand mit dem Metronom in time spielen, wenn der Bus sowieso zwei Stunden später kommt?“ Zu leichtfertig lachten Mitteleuropäer über „Fehler“ in der Intonation und im Zusammenspiel – aber genau das mache die Musik „persönlich, auch wenn das für uns absolut am Rande dessen ist, was man überhaupt noch anhören würde“.Viel zu viele Musiker, Veranstalter und Konzertbesucher setzten auf Sicherheit, meint er nachdenklich.  Er mag es nicht, wenn Musiker von heute ihre Vorbilder imitieren und versuchen, sie so perfekt wie möglich nachzuspielen. „Das gibt einen karibikfrischen, perwollgespülten Sound“, meint er spöttisch. „Da wird alles immer weißer als weiß, immer perfekter.“ Was nicht heißt, daß er große Musiker aus der Vergangenheit mißachten würde. Im Gegenteil.“Wenn Stan Getz in den Achtziger Jahren swingte wie die Pest, dann war das seine Musik. Das höre ich heraus, und deshalb ergreift mich diese Musik.“ Denn sie ist, was er schätzt: der unverwechselbare Ausdruck einer Persönlichkeit. Zu der aber gehört nicht nur eine schöne, polierte Oberfläche, sondern auch „Kanten und Ecken, Schmutz und Dreck. Man wird hin und wieder unkontrolliert. Jazz ist wie Sex, und das ist ja auch etwas Unkontrolliertes, Spontanes.  Beim Jazz muß auf der Bühne genauso etwas spontan entstehen, was nicht von vornherein glasklar abzusehen ist.“

Werner Stiefele (SZ, 28.12.`96)


Bebelaar – ein Bildhauerakustischer Skulpturen 

Er will alles auf einmal und kriegt eins nach dem anderen.  Im Leben und in der Musik.  Den Jazzpreis des Landes beispielsweise. Eine schöne Auszeichnung für einen, der nicht im Hauptstrom des Jazz mitschwimmt, für einen, der eigene Wege sucht. Immerhin ist der 29-jährige Patrick Bebelaar aus Trier der erste Preisträger im neuen Jahrhundert.“Das ist doch der, der auf den teuersten Flügeln rumtrampelt, der lauteste Jazzpianist weit und breit“, mißbilligte ein traditioneller Jazzer den Juryentscheid.  „Ja, aber auch der leiseste!“, erwiderte ein Kollege, der ihn besser kennt. Recht haben beide Bebelaars Kompositionen beginnen betont schlicht. Wie ein frisch verliebter versenkt er sich – den linken Fuß auf dem mittleren Pedal – voller Aufmerksamkeit und zärtlichen Gefühlen in den gedämpften Schönklang seines Konzertflügels. In jazziger Off – Beat – Phrasierung perlen Tangotöne schwelgend auf, im Donaublauen Dreivierteltakt fließen süße Harmonien in den Klangraum hinein. Und auch stille Momente finden sich darin, denen man nachlauschen kann. Märchenhaft. Doch dabei bleibt es nicht. Nun brechen Widersprüche auf, Widerstände und Widerborstiges. Der Pianist greift dem weitgeöffneten Flügel in die Eingeweide und zerrt heftig an den Stahlsaiten. Die Klaviatur muß Unterarmchecks und Faustschläge aushalten. Das strengt an, auch das Publikum. Die Musik würde in einer Sackgasse stecken, bliebe es dabei. Doch Bebelaars Musik hat eine andere Qualität: sie öffnet sich. In wilden assoziativen Sprüngen erinnert sie sich an die kontrapunktische Kunst Bachs, an die atonale Härte und vollkloristische Melodik Bartóks, an den hochenergetischen, perkussiven Freejazz cecil Taylors und auch an Steve Reichs Minimalmusic.Wie aus einem Steinbruch sprengt Bebelaar sein musikalisches Material heraus – kein Klangmaler, ein Bildhauer akustischer Skulpturen. Da zeigt sich auch ein sehr körperlicher Bezug zur Musik. Jazz kehrt in Bebelaars orgiastischen Improvisationssteigerungen zu einer ursprünglichen Bedeutung zurück: Jazz ist Sex. Das stößt manchen ab. Andere lassen sich mitreißen und reagieren erstaunlich. Als Bebelaar, der seit acht Jahren in Stuttgart lebt, mit seinem Freund, dem Holzbläser Frank Kroll, unlängst in einer südafrikanischen Township musizierte, schaute er vom Klavier hoch in weinende Gesichter.Bebelaar ist ein Grenzgänger mit großem kompositorischem und pianistischem Potenzial.  Die vorliegenden sieben CDs (alle bei DML-Records) und seine Konzerte mit Limes X, mit indischen Musikern oder 1999 mit Günther Lenz und Herbert Joos bei den Jazz Open haben das deutlich gemacht. Gerade Patrick Bebelaar, der vieles aufs Spiel setzt, um seine durchdachte, leidenschaftliche Musik zu verwirklichen, den Jazzpreis des Landes zu verleihen, war eine exzellente Idee. Gratulation!

(Thomas Staiber SN)


Mission und Passion Ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen:

Der Pianist Patrick Bebelaar Oh Haupt voll Blut und Wunden – sieben Töne, die unter die Haut gehen. Ein Ohrwurm der Düsternis, treuen Kirchgängern wohl vertraut. Schwermut ist Patrick Bebelaar nicht fremd. Melancholische Züge prägen auch seine Musik. Er spiele mit dem Herzen eines Russen, hat ein Petersburger dem jungen Pianist einmal mit auf den Weg gegeben. Gefühlsbeladen bis zur Düsternis. Der gebürtige Trierer hat dem nicht widersprochen.Bebelaar macht aus seinen Gefühlen keinen Hehl, verarbeitet sie zu Musik. In seinen Konzerten und Improvisationen werden sie lebendig.Das die Musik Bebelaars Leben bestimmen wird, zeichnete sich schon früh ab. Mit sechs beginnt er zu komponieren. „Mit den Augen und Ohren eines Kindes“, beschreibt er sein anfängliches Schaffen. Ein Klavier steht im elterlichen Haus, ermöglicht dem Jungen frühe Improvisationen. Viel mehr ist es nicht, was er auf den Tasten zustande bringt. Zu groß ist sein Widerwillen gegen den Klavierunterricht. Eineinhalb Jahre beugt er sich schließlich dem Druck der Eltern, im Nachhinein reicht es immerhin zum Notenlesen.Doch viele Jahre später kommt ihm als Teenie Musik zu Ohren, die ihn an seine Grenzen erinnert. Keith Jarrett wird zum personifizierten Schlüsselerlebnis.  „Meine Technik reichte nicht aus, das umzusetzen, was ich hörte.“ Ein Klavierlehrer muss her. Einer, der der dem ambitionierten Autodidakten gewachsen ist. Bebelaars Wahl fällt auf den Trierer Klaviervirtuosen Gesa Lozo.Nach dem Zivildienst stehen erste Aufnahmeprüfungen auf dem Programm: In Köln verscherzt er es sich mit einer ausfallenden Bemerkung, in Stuttgart wird er schließlich genommen. Bebelaar studiert an der dortigen Musikhochschule Jazz. Im Schwabendorf am Neckar feiert er auch seinen bisher größten Triumph: Im vergangenem Jahr wird ihm der Jazzpreis des Landes Baden – Württemberg verliehen. Die älteste und eine der bedeutendsten Auszeichnungen dieser Art in Deutschland überhaupt. Ihn zeichne „Originalität, Ideenreichtum und große Schaffenskraft aus“, lobte Kunstminister Klaus von Throta den Preisträger.Tatsächlich liebt Bebelaar die Vielseitigkeit. Seine Experimentierfreudigkeit ist ihm nie abhanden gekommen. Er gründete das Trio „Limes X“, macht sich gemeinsam mit einem Schlagzeuger und einem Saxofonisten auf die musikalische Zeitreise in die Vergangenheit des mittelalterlichen Liedguts.Den Pianisten locken immer wieder Grenzüberschreitungen: musikalisch wie geografisch. Nahe des Polarkreises tritt er auf, in Petersburg ebenso. Mit den bekannten indischen Brüdern Pandit Prakash und Pandit Vikash Maharj produziert er die CD „Raga“, spannt so einen Bogen zwischen den Musikkulturen des Abend- und Morgenlandes.Doch es gibt auch andere Phasen in seinem Leben, Momente, in denen sich der junge Mann weitgehend zurückzieht. „Vor einiger Zeit machte ich eine sehr harte Zeit durch.“ Nur noch selten verlässt er seine Wohnung.Aber auch in den Süden zieht es ihn immer wieder. Ein Stipendium der University of Natal ermöglicht Bebelaar 1995 einen längeren Aufenthalt im südafrikanischen Durban. Dort tritt er dann auch fünf Jahre später in den Townships auf, inmitten des Elends, Mut mit Musik. In Gegenden, wo fast die Hälfte der jungen Menschen an Aids erkrankt sind, zeigt der Pianist neue Perspektiven auf. Der Musiker als Motivationskünstler. Auch in dieser Mission ist der gebürtige Trierer auf Tournee. Doch zurück zu Blut und Wunden. Mit beidem kennt er sich aus. Bebelaar hat häufig Blut an seinen Händen. Dann, wenn er zu besonders expressiven Ausdrucksformen am Klavier greift, sich und dem Instrumen Gewalt antut. Auch diese Seite gehört zu dem Musiker, der im Gespräch eher kontrolliert wirkt. Dass er hin und wieder mit den Füßen spielt, auch das will auf den ersten Blick gar nicht zu ihm passen. „In Konzerten verlange ich mir einfach alles ab.“Doch die Kiese regt ihn auch an. Bebelaar erinnert sich an die „christliche Leid-Kultur“. Schließlich bin ich doch gut katholisch erzogen worden“, erzählt er mit leicht ironischem Unterton in der Stimme, von seiner Kindheit in der Domstadt. Über Monate setzt er sich mit der Passion auseinander, diesem „Ausdruck eines geradezu masochistischem Leidensdrang“. Wie nicht anders zu erwarten, verarbeitet Bebelaar auch diese Auseinandersetzung musikalisch.„Passion“ heißt auch seine sechste Platte, eine bis zur Septettbesetzung konzipierte CD-Veröffentlichung. In „the beginnig“ hat er die sieben ersten Töne von „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ eingearbeitet – eine Hommage an Johann Sebastian Bach, den Komponisten der Matthäus-Passion. Bebelaar nennt „Passion“ die „Programmmusik seiner Depression.“ Tatsächlich taugt „Passion“ kaum als Hörkulisse fürs sonntägliche Frühstück. Die Musik bringt auch den Zuhörer an Grenzen.Doch auf derselben CD befinden sich neben den Freejazz-Eskapaden auch Tanzrhythmen. Sein Stück „Tango“ trägt Züge des Komponisten Astor Piazzollars, des argentinischen Tangovirtuosen.Bebelaar, der Rastlose: Immer scheint er auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Mit vdem Tubisten Michel Godard plant er eine folkloristische Feejazz-Produktion.
(Trierischer Volksfreund, April 2001)